Wie der Kanton einen Kritiker auf die Strasse stellte

Nach der Entlassung des Leiters Thomas Gerig wagt an der Schule für Gestaltung in St.Gallen kaum mehr jemand Kritik am Rektorat. Doch es ist Zeit, dass die Wahrheit ans Licht kommt.

Im letzten November wurde der Leiter der Schule für Gestaltung an der Gewerblichen Berufsschule St.Gallen (GBS) Knall auf Fall entlassen. Er hatte es gewagt, öffentlich Kritik am kantonalen Sparpaket zu üben. Ausserdem hatte er sich gegen falsche Angaben in der regierungsrätlichen Botschaft gewehrt, die aufs Konto des Bildungsdepartements gehen. Das war zu viel: Thomas Gerig wurde aufs Rektorat zitiert, freigestellt und entlassen. So werden in der Wirtschaft missliebige Manager behandelt, die man auf der Stelle loswerden will. Es ist eine Premiere, dass nun solche üblen Methoden auch beim Kanton Einzug halten. Als später für Gerig Solidaritätsadressen von LehrerkollegInnen eingingen, wurden diese automatisch retourniert mit dem Vermerk, ein Thomas Gerig arbeite nicht mehr an der GBS…

Ein skandalöser Vorgang

Die SP- Grüne-Fraktion stellte zu dieser Entlassung, aber auch zur Informationspolitik gegenüber dem Kantonsrat in einer Einfachen Anfrage kritische Fragen. Die Antwort der Regierung wurde kürzlich still und leise auf der Webseite des Kantons aufgeschaltet. Niemand wollte sie bemerkt haben, schon gar nicht die bürgerlichen Medien. In dieser Antwort findet man die rechthaberischen und kleinkrämerischen Sätze genau jener Leute im Bildungsdepartement, die für die fehlerhafte Gesetzesvorlage verantwortlich sind, gegen die der entlassene Gerig aufbegehrt hatte. Mit anderen Worten: Die «Täter» rechtfertigen sich selber. Von einer unabhängigen, objektiven Stellungnahme kann keine Rede sein. Und schon gar nicht von einer echten Aufklärung. Konkret wollte die SP- Grüne-Fraktion von der Regierung wissen, welche Stellen innerhalb der Verwaltung sowie innerhalb der GBS zur regierungsrätlichen Vorlage Stellung nehmen konnten. Hier muss die Regierung zugeben, dass die Betroffenen, nämlich GBS-Rektor Lukas Reichle und Lehrgangsleiter Thomas Gerig, nicht zur Vorlage Stellung nehmen konnten. Für «Staatspersonal» gebe es kein formelles Antragsrecht, heisst es. Mit anderen Worten: Die Vorlage wurde in patronaler Manier über die Köpfe der Betroffenen hinweg verabschiedet. Dies hatte Thomas Gerig schon in einem «Tagblatt»-Interview vom 21. November kritisiert. Er stellte dort klar: «Das Rektorat erhielt weder einen Entwurf zur Vorprüfung noch einen Mitbericht, sondern erst die fertige Botschaft zur Kenntnisnahme. Da waren wir im Leitungsteam alle überrascht über die völlig falschen Zahlen und Informationen.» Weiter wollte die SP- Grüne-Fraktion wissen, wieso die Berechtigung für Stipendien für den gestalterischen Vorkurs einmal verneint, dann aber kurz darauf wieder bejaht wurde. Die Antwort lautet: Das Propädeutikum sei schon immer stipendienberechtigt gewesen, es liege kein Meinungsumschwung vor. Doch das ist falsch. In der Schule für Gestaltung ist nach Angaben des Leiters kein einziger Student und keine einzige Studentin bekannt, der oder die je Stipendien erhalten hätte. Auf eine weitere Frage erhält die Linksfraktion gar keine Antwort. Nämlich welche grundsätzlichen Konsequenzen die Regierung bezüglich der Sicherstellung einer korrekten und verlässlichen Vorbereitung der Vorlagen ziehe. Keine Antwort ist bekanntlich auch eine Antwort!

Worum aber ging es bei den erwähnten Stipendien überhaupt? Die St.Galler Regierung hatte im dritten Sparpaket beabsichtigt, die Kosten für den gestalteri schen Vorkurs zur Gänze auf die Studierenden zu überwälzen. Künftig hätte man knapp 14‘000 Franken für das Vollzeitangebot und 18’000 Franken für das Teilzeitangebot bezahlen müssen. Knapp 14‘000 Franken für den Vorkurs: Das ist eindeutig zu viel für ein Vollzeitstudium auf dem zweiten Bildungsweg. Nicht mehr die Geeigneten hätten den Vorkurs besuchen können, sondern die Vermögenden. Der Qualität der Schule wäre dies schlecht bekommen. Das Hauptargument der Regierung bei der Behandlung der Frage in der Novembersession lautete: Der gestalterische Vorkurs für Erwachsene sei lediglich eine mögliche Weiterbildung für Erwachsene unter vielen. Falsch, sagen Fachleute: Der Vorkurs ist eine Vorbereitung (und in den allermeisten Fällen die Voraussetzung) für eine weitere Karriere an einer Fachhochschule für Gestaltung.

Thomas Gerig und mit ihm die Lehrkräfte der Gestalterschule kämpften gegen die Desinformation rund um dieses Geschäft im Vorfeld der Kantonsratsdebatte. In den Augen gewisser bürgerlicher Ratsmitglieder tat dies Gerig offenbar zu laut. Er musste daher gehen. Seither rumort es an der Schule im St.Galler Riethüsli. Noch sind viele Fragen zu dieser Geschichte offen. Klar ist mittlerweile aber dies: Der Druck auf die GBS wurde über sämtliche politischen Führungsebenen aufgebaut. Entgegen den scheinheiligen Versicherungen in den Medien gab es eindeutige Druckversuche. Der «links»-Redaktion liegen entsprechende Mails vor.

Zahlen nach eigenem Gusto?

Das Bildungsdepartement unternahm viel dafür, dass unter den KantonsrätInnen ein falsches Bild entstand. Wie erwähnt, schleuste das Departement die Vorlage an der Schule für Gestaltung vorbei. Mit den Zahlen zu den Kosten und zur weiteren Karriere der Studierenden nahm es das Amt für Berufsbildung nicht allzu genau. Deshalb kam auch schon der Verdacht auf, dass diese nicht objektiv, sondern ganz im Sinne des Departements zusammengestellt wurden. «links» hatte wie die KantonsrätInnen Einblick in eine Gegenüberstellung der Behauptungen, die das Bildungsdepartement verbreitete, und der richtigen Zahlen der offiziellen Abgangsstatistik der Schule für Gestaltung. Hier gibt es Differenzen.
Wie hatte das Prozedere begonnen? Im August 2013 wurde eine Lehrerin des Vorkurses am ersten Schultag zwischen Tür und Angel gebeten, dem Rektorat Abgangsstatistiken zu liefern. Das war alles.  Danach wurstelten das Berufsbildungsamt und Rektor Lukas Reichle offensichtlich vor sich hin. Weder wurden je Thomas Gerig noch andere LeiterInnen des Vorkurses weiter miteinbezogen. SVP-Bildungsdirektor Stefan Kölliker war der Ansicht, für einen so grossen Aufwand sei das Geschäft zu klein. Dies konnten alle Lehrkräfte des Vorkurses schwarz auf weiss in einem E-Mail des Leiters des Berufsbildungsamtes, Ruedi Giezendanner, lesen, das irrtümlicherweise den Weg an die Schule für Gestaltung gefunden hatte.
Als Thomas Gerig später die verfälschten Angaben zuhanden des Parlaments bemerkte, stellte er zusammen mit den beiden LehrgangsleiterInnen eine ausführliche Mappe mit detailliertem Zahlenmaterial für die Mitglieder der vorberatenden Kommission zusammen. Dies nach Rücksprache mit dem Bildungsdepartement. Dieses bestätigte schriftlich den Eingang dieser Unterlagen. Doch dann verschwanden sie. Die Kommissionsmitglieder bekamen sie nie zu sehen. Konsequenz: Der Entscheid der Kommission wurde aufgrund von Falschinformationen zu Gunsten der Erhebung der vollen Kurskosten gefällt. Diese Ungereimtheiten kamen in der Debatte vom letzten November in der Pfalz zur Sprache. Fast alle FraktionssprecherInnen bemängelten die Vorbereitung dieser Vorlage (es war der II. Nachtrag zum Einführungsgesetz zur Bundesgesetzgebung über die Berufsbildung). Gegen die massive Erhöhung des Schulgelds wehrte sich im Kantonsrat die SP- Grüne-Fraktion heftig. Ihr Antrag auf verkraftbare Schulgelder in der Höhe von 20 bis 30 Prozent der Gesamtkosten war im Rat indes chancenlos. Die Linke verhalf aber mit ihrer Zustimmung dem Kompromissvorschlag der BDP zum Erfolg: Dieser sieht nun stipendienrechtlich anrechenbare Kosten von 6500 Franken oder 9750 Franken vor.

Grosse Zivilcourage

Mehrere LehrerInnen – sie sind der «links»- Redaktion bekannt – sind nach den hektischen Ereignissen der Meinung, dass Thomas Gerigs Einsatz von grosser Zivilcourage zeugt. Es sei wichtig und richtig gewesen, auf die Fehler in der Vorlage hinzuweisen. Kaum aber war die Novembersession mit dem Kompromiss in Sachen Schulgeld vorbei, wurde Gerig entlassen und freigestellt. Zuvor hatte Rektor Lukas Reichle mehrere eindeutige Mails von bürgerlichen PolitikerInnen erhalten. Sinngemäss lauteten sie etwa so: Was für Leute stellen Sie da eigentlich ein? Mehrere LehrerInnen bestätigen, dass Reichle diese Reaktionen nicht verhehlte, als er Gerigs generalstabsmässig vollzogene Freistellung vor ihnen zu rechtfertigen suchte. Als wenig später aber die Medien nachfragten, war es mit der Offenheit vorbei. Kreativität, Freiheit und Transparenz sind jedoch Qualitäten, die für die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts essenziell wichtig sind. Druck, Einschüchterung und Angstmacherei sind das Gegenteil davon. Es stimmt mehr als nachdenklich, dass solche mehr als fragwürdigen Praktiken ausgerechnet aus jenem Departement kommen, das der Bildung unserer Kinder und Jugendlichen verpflichtet ist. Immerhin: Am 18. Dezember, z wei Wo- chen nach Gerigs Freistellung, trafen sich kritische Kreise, die sich um die Schule der Gestaltung Sorgen machen, in der St.Galler Lokremise zu einer Veranstaltung mit einem offenen Mikrofon. Verschiedene RednerInnen votierten dabei für eine eigenständige Schule für Gestaltung, die auch räumlich von der GBS getrennt sein soll.
Das Podium fand in einer offenen, konstruktiven und engagierten Atmosphäre statt. «Sie atmete den Geist der Freiheit», sagte anschliessend SP-Ständerat Paul Rechsteiner, der Gerig als Anwalt im Verfahren gegen seine Entlassung vertritt. Die Akte Gerig ist somit noch nicht geschlossen.

Dies ist ein Artikel aus unserer unabhängigen Zeitschrift links. Hier findest du mehr Artikel aus der aktuellen Ausgabe.

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