Von Claudia Friedl, Nationalrätin SP
Liebe Leserinnen, liebe Leser
Dieses Jahr hat der Herbst noch gar nicht begonnen und schon ist die Herbstsession bereits wieder fertig. Wir behandelten wichtige Geschäfte, eine Auswahl davon im Folgenden.
Energiestrategie 2050: Nach mehrjähriger Debatte ist die Energiestrategie 2050 heute mit 120:72 und 6 Enthaltungen verabschiedet worden. Interessanterweise war weder die SVP geschlossen dagegen, noch die FDP geschlossen dafür. In den Verhandlungen mussten wir einige wichtige Punkte abgeben, z.B. im Bereich der Atomenergie fehlt der planbare Ausstieg oder der ansteigende Sicherheitsnachweis bei Weiterbetrieb. Immerhin gibt es ein Neubauverbot. Im Bereich Landschaftsschutz ist die Lösung unbefriedigend, das hätte enger gefasst werden müssen. Durch eine Erhöhung des Netzzuschlags von 1.5 auf 2.3 Rp./KWh kann endlich der Investitionsstau bei den Solaranlagen gelockert werden und die über 40‘000 Projekte auf der KEV-Warteliste mit einer erwarteten Produktion von 6 TWh Strom pro Jahr (das entspricht der Jahresproduktion von Beznau l und ll) können realisiert werden. Auch im Gebäudesanierungsprogramm wird mehr Geld zur Verfügung stehen. Die Strategie legt die Basis, damit der Stromverbrauch bis 2035 gegenüber 2009 um 43% gesenkt werden kann.
Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030: Erfreulicherweise wurde meine Motion mit 95 zu 91 Stimmen gutgeheissen, welche den Bundesrat beauftragt, nach der Unterzeichnung der UN-Agenda 2030 mit geeigneten institutionellen und politischen Massnahmen für die Umsetzung zu sorgen. Es braucht eine kohärente Politik in allen Bereichen, um die 17 ökologischen, sozialen und ökonomischen Ziele der UNO umzusetzen.
Strassenfinanzierung: Die beiden Räte sind sich einig, dass mit dem Netzbeschluss genug für die Nationalstrassen gemacht wird und nicht noch mehr Geld gesprochen werden soll, wie es der Kanton Neuenburg gerne hätte. Der Nationalrat hat bedauerlicherweise festgelegt, dass fix 60% der Mineralölsteuer in den Strassenverkehr fliessen und nicht max. 60% wie es der Ständerat will. Das würde bedeuten, dass die Strassen komplett von zukünftigen Budgetkürzungen ausgenommen werden. Wir stimmten der Finanzierung am Schluss aber zu.
Vorstösse für Symbolpolitik: Auch in dieser Session wurde wieder viel Symbolpolitik im Bereich Migration betrieben. So soll sich der Bundesrat für die Schaffung einer entmilitarisierten Zone an der lybischen Küste einsetzen, um dort die Flüchtlinge in Camps zurückzuhalten und die auf dem Meer geretteten unterbringen zu können. Das soll das Schlepperwesen austrocknen. Da müsste erst einmal Libyen zustimmen oder der UNO-Sicherheitsrat müsste es erzwingen. Ob die Flüchtlinge dort bleiben wollen und was sie dort tun sollen, ist natürlich nicht geklärt.
Neu soll Dschihad-Reisenden der rote Pass entzogen werden können, sofern sie eine Doppelbürgerschaft besitzen.
Der Rat hat zudem beschlossen, dass Migrantinnen und Migranten aus nicht EU-/EFTA-Staaten während den ersten drei bis fünf Jahren keine Sozialhilfe beziehen dürfen. Dies ist problematisch, da dies auch für Flüchtlinge gelten würde. Ihnen darf die Sozialhilfe gemäss Flüchtlingskonvention jedoch gar nicht gestrichen werden.
Burkaverbot: Mit 87 zu 86 Stimmen und 10 Enthaltungen stimmte der Rat einem Burkaverbot zu. NR Wobmann, der sich nie um Frauenrechte kümmert, war der Sorge voll um die Selbstbestimmung der Frau….. .
Während wir mit sozialen, gesellschaftlichen, gewerkschaftlichen oder umweltbezogenen Themen kaum je eine Motion oder Postulat gewinnen, bringen die Bürgerlichen im Finanz-, Migrations- und Landwirtschaftssektor fast jeden Vorstoss durch, ist er noch so schwachsinnig. So werden Gesetze gezielt und punktuell verändert fast immer zugunsten von Reichen und dem Kapital. Das ist ein Ärgernis.
Erleichterte Einbürgerung für AusländerInnen der dritten Generation: Nach 8 Jahren Arbeit ist die Initiative von Adda Marra umgesetzt: Kinder, von denen ein Grosselternteil nachweislich in der Schweiz gewohnt hat, können sich erleichtert einbürgern lassen. Für die SVP und einige andere Bürgerliche ist das immer noch ein Verscherbeln der Schweizer Staatsbürgerschaft. Der NR stimmte aber doch deutlich mit 122 zu 75 zu.
Wiedergutmachung für die Verdingkinder: Endlich wird mit dem neuen Bundesgesetz eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschehnisse rund um die Verdingkinder und Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen lanciert und ein Solidaritätsbeitrag von insgesamt 300 Millionen Franken zugunsten der Opfer bereitgestellt. Die Initiative wollte eine höhere Unterstützung. Die Initianten sind aber mit dem Gesetz zufrieden, weil es sofort in Kraft treten kann, was angesichts des Alters vieler Betroffener sehr wichtig ist. Deshalb enthielten wir uns bei der Abstimmung zur Initiative der Stimme, nahmen das Gesetz natürlich einstimmig an. Nur ein stattlicher Teil der SVP und einige andere Bürgerliche lehnten es ab (Schlussabstimmung: 149:47:2).
Ausländergesetz „Integration“: Grundsätzlich wollten wir dieses Gesetz, damit die Hürden beim Zugang zum Arbeitsmarkt für Flüchtlinge abgebaut werden. Das ist nun entschieden, Flüchtlinge und Vorläufig Aufgenommene brauchen keine Bewilligung mehr, sondern nur noch eine Meldung durch den Arbeitgeber. Zudem entfällt auch der Abzug von 10% auf ihrem eh schon kargen Lohn. Nur ganz knapp konnten wir verhindern, dass der ohnehin bereits restriktive Familiennachzug für Vorläufig Aufgenommene ganz gestrichen wurde, ein kleiner Akt der Menschlichkeit mit Unterstützung der CVP; die FDP war gespalten. Die Gesetzänderung wurde in der Gesamtabstimmung mit 113 zu 65 Stimmen angenommen – dagegen war nur die SVP, die ja bekanntlich Probleme nur bewirtschaften will, aber kein Interesse hat, sie zu lösen.
Umsetzung Masseneinwanderungsinitiative: Die Variante, welche die Kommission vorschlug, ist leicht, super leicht, ohne Zweifel. Die SVP schäumte, Verfassungsbruch wurde laut geschrien. Aber ihre Initiative ist nur mit einem Verfassungsbruch umsetzbar – die Verfassung besteht zudem aus mehr als nur Abs. 121a. Die SVP hatte während der Abstimmung zur MEI mehrfach betont, dass ihre Initiative die Bilateralen nicht gefährden würde. Jetzt liegt eine EU-kompatible Umsetzung der Initiative vor. Wichtig wird die Ausgestaltung der Massnahme 1 sein, die Förderung der eigenen Fachkräfte, was insbesondere Frauen, Ältere und Flüchtlinge betreffen wird. Arbeitslose InländerInnen werden bei der Stellensuche einen Vorteil erhalten, ohne dass dadurch die Bilateralen gefährdet werden. Der Nationalrat stimmte ohne SVP dem „Inländervorrang light“ mit 126 zu 67 zu. Noch muss der Ständerat darüber befinden. Ich würde es begrüssen, wenn er die Bedingungen, welche Arbeitgeber gegenüber dem RAV erfüllen müssen, bevor sie ausländische Arbeitskräfte anstellen dürfen, noch griffiger formuliert. Wenn das Gesetz durch ist (sollte in der Wintersession der Fall sein), kann das Kroatienabkommen ratifiziert werden und die vollumfängliche Teilnahme am Forschungsabkommen Horizon 2020 ist gesichert.
Internationale Zusammenarbeit 2017-2020: Das anfangs heiss umkämpfte Legislaturprogramm ist schlussendlich ohne viel Schaden durch die Beratungen gekommen, nachdem es die CVP ursprünglich zurückweisen wollte. Wichtig war der Einsatz für die langfristigen Entwicklungsprojekte. Derzeit soll das ganze Geld wegen der Flüchtlingsproblematik in die Humanitäre Hilfe fliessen. „Hilfe vor Ort“ ist notwendig und wird jetzt auch verstärkt geleistet. Langfristige Projekte in fragilen Regionen oder in armen, aber etwas stabileren Ländern haben aber einen wichtige Rolle im Kampf gegen die Fluchtursachen. Abwehren konnten wir den Ansatz, dass nur dort Entwicklungsarbeit geleistet wird, wo Flüchtlinge herkommen. Dies wäre ein enormer Rückschritt gewesen. Eine Verknüpfung von Entwicklungszusammenarbeit und Migrationspolitik soll aber forciert werden, dort, wo es zielführend ist. Der grosse Kampf war in der 1. Lesung das Geld. Von heute 0.48% des BIP gab es Anträge von 0.4% bis 0.7%. Nachdem aber auch der Ständerat die 0.48% bestätigt hatte, war es in der 2. Lesung im Nationalrat kein Diskussionspunkt mehr. Nur die SVP war in der Schlussabstimmung dagegen (129:68).
Palästina: Der Rat hat eine Motion unserer Fraktion abgelehnt, welcher ein palästinensisches Herkunftszertifikat für Güter aus den israelischen Siedlungen verlangt hätte.
Natur unter Druck: Nach Höckerschwan und Biber kommt nun der Wolf dran. Fertig lustig nennt der Kanton Wallis seine Standesinitiative, die der Nationalrat angenommen hat. Sie will damit den Schutz des Wolfes aufheben und verlangt deshalb auch die Kündigung der Berner Konvention (Schutz der europäischen Fauna und Flora). Der Ständerat, welcher die Standesinitiative bereits abgelehnt hat, muss nun ein zweites Mal darüber entscheiden. Es bleibt zu hoffen, dass er den Vorstoss definitiv ablehnt.
Post: Die Post soll zukünftig wieder alle Haushalte beliefern müssen, auch abgelegene. Diese Forderung kam von SVP Seite. Ein guter Vorstoss, doch irgendwie auch absurd, denn finanzieren will die SVP das ganze natürlich nicht.
Rotstift: Wieder einmal werden die Bauern und die Armee vom Rotstift verschont. Die Bauernlobby setze sich mit Hilfe der SVP und CVP durch und verhinderte die geplante Kürzung in der Landwirtschaft von 514 Millionen über einen Zeitraum von 4 Jahren. Dies obwohl die Zahl der Bauernbetriebe laufend abnimmt. Zudem soll die Armee auch weiterhin 5 Milliarden erhalten, obwohl gar nicht so viele entscheidungsreife Projekte vorliegen. Auch beim Nachrichtendienst soll nicht gespart werden.
Steuergeschenke: Den Kantonen soll es erlaubt sein, einmalige Steueramnestien durchzuführen. Das bedeutet, dass Steuerbetrüger sich melden können ohne bestraft zu werden. Dies lädt jedoch gerade dazu ein, Steuern wenigstens einmal im Leben zu hinterziehen, irgendwie quer in der Landschaft.
Zusätzlich gibt es Änderungen bei der Verrechnungssteuer für Unternehmen. Dadurch erhalten Unternehmen 600 Millionen Franken zurück, welche dem Staat fehlen werden. Zahlen wird dies einmal mehr der Mittelstand.
Bildung und Forschung: Ein erfreuliches Resultat gab es hingegen bei der Bildung, wo zusätzlich knapp 400 Millionen für ETH, Berufsbildung, Universitäten und nationale Forschungseinrichtungen gesprochen wurde. Alle Vorlagen passierten in der Schlussabstimmung praktisch zu Null.
Altersvorsorge: Was der Nationalrat in dieser Sache geboten hat, pervertiert unser Ratssystem. Der Ständerat hatte aus der Bundesratsvorlage eine austarierte Vorlage erarbeitet. Die Nationalratskommission hat diese dann in über 50 Stunden Beratungszeit tüchtig aufgeweicht. Ein Tag vor der Beratung im Rat, also ohne jede Kommissionsarbeit, wurde von FDP und GLP ein völlig neues Konzept vorgeschlagen, welches im Rat mit Hilfe der SVP durchgedrückt wurde. Grundsätzlich heisst das nun: die solidarische AHV schwächen und auf die teure Pensionskasse setzen – ganz nach dem Motto: jeder soll für sich selber sparen, die Solidarität ist vorbei. Teil des Modells ist, wie auch beim Ständeratsmodell, die Senkung des Umwandlungssatzes auf 6%, was zu einer Rentenkürzung von 12% führen wird. Um dies auszugleichen, sollen die Lohnabzüge für die Pensionskasse massiv angehoben werde, besonders für die Jungen. Verzichtet wird dafür bei der AHV auf die Erhöhung der Neurenten um 70.- pro Monat und auf die Erhöhung der Ehepaarrenten von 150% auf 155% der einfachen Rente. Opfer der ganzen Sanierung sind die Frauen mit Frauenrentenalter 65 und reduzierter Witwenrente. Auch die Erhöhung des Rentenalters auf 67 für alle ist kein Tabu mehr und wird bei Defizit automatisch schrittweise eingeführt. Dieses Ergebnis ist absolut inakzeptabel. Der Ständerat wird sich nun mit diesem Hauruck-Vorschlag beschäftigen, bleibt zu hoffen, dass er bei seiner ausgewogenen Variante bleibt. Andernfalls bleibt uns nur das Referendum.
Morgen reise ich nach Nicaragua. Swissaid wird uns, Martina Munz und mir, ihre Entwicklungsprojekte zeigen. Jetzt wünsche ich allen schöne Herbsttage.
Claudia Friedl