Turi Honegger wird 90

Vom Kampf gegen die Fröntler, von seinen Erlebnissen im Sechs Tage-Krieg, vom Engagement für soziale Gerechtigkeit im St.Galler Kantonsrat. Und natürlich von seiner Kindheit und Jugend zwischen Pflegeltern und Arbeitserziehungsanstalt. Turi Honegger erzählt in hohem Tempo und in farbigen Bildern. Am 27. September 2014 wird der er 90 Jahre alt.

Er liebt die Menschen und will ihnen helfen. Er hört gerne zu, noch lieber aber debattiert er, streitet er. Er ist liebenswürdig – mitunter aber aufbrausend, wenn ihm was nicht passt. Gerechtigkeitsliebend und kämpferisch. Wortgewaltig und voller Energie noch mit 90. Turi ist der Zürcher im Obertoggenburg, der Sozi im sonst so stramm bürgerlichen Tal, der Schriftsteller und Journalist unter den Gewerblerinnen und Bauern.

Seit bald 65 Jahren ist Turi Honegger SP-Mitglied. Das Engagement für die Sozialdemokratische Partei zieht sich durch sein Leben, wie der sprichwörtlich rote Faden. Die Krönung seines politischen Wirkens erlebt er mit 67 Jahren: Von 1991 bis 2000 sitzt Turi Honegger für die SP im St.Galler Kantonsrat. „Das Obertoggenburg hat eine SP so nötig wie jede Stadt und jede Agglo“, ist er überzeugt. Weshalb? Die SP, das ist die andere Politik, die Möglichkeit des andern und das Nachdenken über das andere. Diese Opposition hat Turi Honegger schon früh in seinem Leben kennengelernt: Mit seinem Pflegvater, einem Zürcher Oberländer Arbeiter besucht er schon als Bub in den 1930er-Jahren SP-Veranstaltungen. Dort wird er regelmässig Zeuge von Streit und Schlägereien mit den Fröntlern, den verkappten Schweizer Nazis. Die Massenarbeitslostigkeit in jener Zeit prägt ihn fürs ganze Leben. Ihn fasziniert die Gesamtaufgabe der Linken, der Kampf für soziale Gerechtigkeit, für Offenheit und Toleranz. „Der Parteibeitritt gehörte dann einfach dazu“, sagt er heute rückblickend. Und er sagt auch, dass er eine wunderbare Zeit in der Partei erlebt habe. Turi engagiert sich von Anfang an für die SP, ist Sektionspräsident, Präsident des Bildungsausschusses der SP Wetzikon, Berichterstatter für die sozialdemokratische Zürcher Oberländer Zeitung „Die Arbeit“, Neugründer vieler Sektionen im Kanton Zürich und später im Thurgau. Er wirbt nach Feierabend Neumitglieder, schreibt Texte für das Parteiorgan. „Ich sei überall nur nicht zu Hause, sagte mir meine Frau damals.“

Ab 1960 arbeitet Turi für zwei Jahre als Politischer Sekretär der SP TG. In dieser Funktion schreibt er Artikel für die Thurgauer Arbeiterzeitung. Wenig später gelingt ihm der journalistische Durchbruch: Für den Blick berichtet er über die Auschwitzprozesse in Frankfurt und über den deutschen Wahlkampf, bei dem er Willy Brandt persönlich kennenlernt. Daraufhin geht er für den Blick in den Nahen Osten; in einem Schützenpanzer erlebt er den Sechs Tage-Krieg mit. 1974 erscheint sein erstes Buch, die Fertigmacher; darin spricht er über seine Kindheit und Jugend.

Mittlerweile sind von Turi Honegger 25 Bücher erschienen. Es sind zumeist Texte, in denen er Autobiographisches verarbeitet. Das Bücherschreiben wurde für ihn zur Therapie, zur Hilfe im Umgang mit seinen Kindheits- und Jugenderinnerungen. „Ich will nicht jammern“, wehrt er kurz ab. Indessen, man spürt, dass die Wunden noch keinesfalls verheilt sind, dass sie nie ganz heilen werden.

Turi Honegger wird schon wenige Tage nach der Geburt von der minderjährigen Mutter fortgerissen. Anderthalb Jahre im St.Galler Kinderheim Tempelacker, danach die Fremdplatzierung bei einer Pflegefamilie in Dürnten, gute Schuljahre, dann der Kampf um den Übertritt in die Sekundarschule – gewonnen! Und die wachsende Leidenschaft für die Schauspielkunst. Jedoch, er wird vom Vormund statt ins Gymnasium zu Bauern im Zürcher Oberland geschickt: Schikane, Prügel, Erniedrigung. Für einen Fluchtversuch bezahlt Turi Honegger teuer: mit der Einweisung in die Arbeitserziehungsanstalt Uitikon am Albis wo er die nächsten drei Jahre leben wird. In Zürich, wohin er nach der Rekrutenschule 1944 zieht, lernt er den Schauspieler Heiri Gretler kennen, der erkennt sein Schauspieltalent und will ihn fördern. Doch wie oft in Turis Leben, bricht die düstere Vergangenheit in seine Gegenwart ein: Der Adjunkt der Arbeitserziehungsanstalt taucht wie aus dem Nichts auf, zerrstört, was Turi mühsam aufgebaut hat, verleumdet ihn und reist ihn fort aus dem eigenen Leben in das eines Knechts. Die Besuche des Adjunkts werden immer wieder die Drohung der schrecklichen Jugendjahre in Turis Gegenwart zurückholen. In regelmässigen Abständen terrorisiert der Vergrämte den Ehemann, Familienvater, Journalisten, Politiker Honegger. Irgendwann dann hören sie auf. Im Kopf aber bleiben die elenden, kalten Jahre für immer und die Angst vor der Willkür.

Vor 13 Jahren dann plötzlich wieder ein Anruf. Aus seiner Zürcher Oberländer Heimatgemeinde Dürnten. „Der Gemeindepräsident hatte meine Akte durchgesehen und die Katastrophe im Umgang mit mir erkannt“, so Turi Honegger. Der Gemeinderat samt Schreiber sei von ennet dem Ricken nach Krummenau gekommen, um sich bei ihm für das angerichtete Leid zu entschuldigen. „Ich selber“, sagt Turi Honegger mit Blick auf die Wiedergutmachungsinitiative, „brauche kein Geld. Aber ich finde es richtig und gut, dass sich die Gemeinde, deren Behörden mir diesen Lebensweg zugemutet hatten, bei mir um Verzeihung bat.“ Und er wird weiterhin mit Historikern sprechen und mit KantischülerInnen, um das Thema im Gedächtnis zu halten.

Alles Gute zum Geburtstag, Turi!

Guido Berlinger-Bolt, Politischer Sekretär der SP SG

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