Die Weichen stellen für ius soli

Ungefähr 25% der Menschen in der Schweiz besitzen keinen Schweizer Pass und sind von politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. Das ist einer Demokratie nicht würdig. Von Cenk Agdoganbulut, Co-Präsident SP-MigrantInnen

Die Schweiz ist eine direkte Demokratie, in der ein Viertel der Bevölkerung von der politischen Partizipation ausgeschlossen ist. Jeder Vierte unserer Mitmenschen, die hier leben, arbeiten, Steuern zahlen, letztlich also zum Wohlstand dieses Landes beitragen, kann also nicht über die Zukunft der Schweiz befinden. Der hohe Ausländeranteil der Schweiz resultiert aus verschiedenen Faktoren, wie z.B. der langen Wartezeit oder der strengen, bisweilen demütigenden Einbürgerungspraxis. (Ich erinnere mich noch gut an meine Einbürgerung, als ich als junger Gymnasiast den Blick lesen musste, um zu beweisen, dass ich einwandfrei auf Deutsch lesen kann). Knapp eine Million Ausländerinnen und Ausländer würden die Bedingungen für eine Einbürgerung längst erfüllen, stellte die Eidgenössische Migrationskommission schon 2012 fest. Die SP MigrantInnen und Migranten führen deshalb Informationskampagnen durch, um die ausländischen Mitbürgerinnen und –bürger bei der Einbürgerung zu beraten und begleiten. Gerade in Fällen von behördlicher Willkür können die SP und die SP MigrantInnen den Einzubürgernden beistehen. Dass dies auch bitter nötig ist, zeigten viele Fälle, die publik wurden, nicht zuletzt jener von Funda Yilmaz. Frau Yilmaz‘ Gesuch wurde von der Buchser Einbürgerungskommission u.a. mit der Begründung abgelehnt, dass sie nicht wisse, wie man Frittieröl entsorge. „Wirklich absurd“, mussten denn auch SVP-Hardliner wie Natalie Rickli zugeben.

Es ist zwar erfreulich, dass die Initiative für die erleichterte Einbürgerung gewonnen wurde, aber es ist nur ein Tropfen auf dem heissen Stein. Den Schwung dieses Erfolges gilt es beizubehalten, um einerseits ungerechte behördliche Verfahren als auch rassistisches Gedankengut weiter zu bekämpfen. Denn, dass die ‚Ausländerthematik‘ uns immer wieder begegnen wird, zeigen die regelmässig lancierten Einwanderungsinitiativen der Rechten. Es ist zwar schön, wenn wir die Angriffe der Rechten erfolgreich abwehren können, aber eine Linke, die nur reagiert und keine Visionen zu präsentieren hat, verdient diese Bezeichnung nicht. Wir müssen unsere Ideale offensiver an die Leute bringen, dies gilt insbesondere für die etwas vernachlässigte Ausländerpolitik. Ich weiss, einige Genossinnen und Genossen in der SP werden sagen, es sei schwierig, in diesem Bereich Mehrheiten zu erringen. Aber auch wenn wir mit grossem Widerstand der Rechten zu rechnen haben und unsere ausländerpolitischen Anliegen in weiten Bevölkerungsteilen vielleicht zunächst Unverständnis auslösen sollten, können wir uns durchsetzen; das hat die Initiative für die erleichterte Einbürgerung bewiesen.

Und selbst wenn einige unserer Forderungen nicht sofort umgesetzt werden oder allfällige Volksbegehren Niederlagen einfahren sollten, sollten wir uns nicht entmutigen lassen. Dass Niederlagen vorbereitend für Erfolge wirken können, zeigt die politische Strategie der Bürgerlichen nur zu gut. Nicht umsonst sagte Philipp Müller nach der Abstimmung, dass er gewusst hätte, dass seine 18%-Initiative nicht durchkommen würde, aber es gälte den Boden für spätere Vorhaben vorzubereiten und Druck für folgende Reformvorhaben aufzubauen. Um die geeignete Atmosphäre für unsere Anliegen zu schaffen, dürfen wir das diskursive und sprachpolitische Feld nicht den Rechten überlassen.

Dass der rote Pass de facto als Belohnung für die gelungene Integration (was auch immer das sein soll) winkt, ist keineswegs selbstverständlich. Bis zur Zwischenkriegszeit wurde die Einbürgerung als Bedingung für die damals so genannte ‚Assimilation‘ verstanden. Denn: Wie soll jemand integriert oder assimiliert sein, wenn er de facto kein Bürger des Landes ist und nicht mitentscheiden kann? Die Schweizer Einbürgerungspraxis wurde damals durch die Intervention der Protagonisten von konservativen bis rechtsradikalen Milieus geändert. Einer von ihnen war Carl Alfred Schmid, der Erfinder des Überfremdungsbegriffs. „Ohne Assimilation keine Naturalisation“, so seine Parole. Die Ausländer müssten zu Schweizern „erzogen, gebildet und gemacht werden“. Dass der Geist der heutigen, auf dem Ius sanguinis basierenden Einbürgerungsverfahren in dieser Tradition der „Schweizermacher“ steht, ist keine Übertreibung, sondern Fakt.

Dabei war die Einbürgerungspraxis, wonach der Pass nach erfolgter Assimilation folgt, keine unumstössliche Wahrheit. Viele Rechtskonservative lehnten damals die neue Praxis ab. Die Forderung das Abstammungsprinzip abzuschaffen und stattdessen ein Ius soli einzuführen, war damals schon in Diskussion und kam seither immer wieder auf, so z.B. auch 1964 als selbst eine vom Bund eingesetzte Studienkommission den hohen Ausländeranteil und ‚Integrationsschwierigkeiten‘ für hausgemacht hielt und die Einführung des Ius soli als bedenkenswerte Option vorschlug. Klug vorbereitet könnte ein Debattenanstoss für den Ius soli heute Wurzeln schlagen und ihre zukünftige Einführung – schon früher als einigen lieb ist! – ermöglichen. Was möglich und unmöglich ist, ist schliesslich nicht von vorneherein bestimmt, sondern hängt entscheidend von unserem Willen und Engagement ab. Damit wäre dann auch die stolze Rede von der Schweiz als direkter Demokratie nicht mehr so heuchlerisch.

 

 

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