Der ehemaligen Chefredaktor des St.Galler Tagblatts, Gottlieb F. Höpli, äussert unsägliche Ansichten zum Thema Sexismus. Sie sind in vielerlei Hinsicht übergriffig. In seiner Kolumne (Ausgabe vom 15.November) ist Höpli der Ansicht, dass die Entrüstung über die sexistische und sexuelle Gewalt gegenüber Frauen nur ein vorübergehender Medienhype sei. Der verschwinde wieder, wenn der letzte Redaktionsvolontär, ohne aufwendige Recherche, seine Solidarität mit den bedauernswerten Opfern im Lokalteil der Zeitung habe platzieren können.
Es ist schwer einzuschätzen, ob solchen Ansichten mangelnde Recherchen und unpräzise Überlegungen zugrunde liegen oder ob sie einfach der Ignoranz eines älteren Herrn entspringen. Auf alle Fälle kommen darin typisch sexistische Denkweisen zum Ausdruck.
- Wie viele Männer weiss Höpli ganz genau, was die klugen Journalistinnen über die Betroffenheit der Frauen denken und dass ihnen die Solidarität schaden würde. Dies ist eine altbewährte Männerstrategie, die Frauen daran hindern soll, sich über die Diskriminierung der Frauen zu empören. Sie müssten befürchten, auf die gleiche Stufe wie ein einfältiger Redaktionsvolontär gestellt zu werden.
- Seltsam ist die Ansicht, dass wir Frauen noch nie so viele Freiheiten besassen, uns in der Öffentlichkeit zu zeigen. Sollen wir denn wieder mehr zuhause bleiben?
- Weiter beklagt sich Höpli über die fehlende Differenzierung und über Verallgemeinerungen im Umgang mit diesem Thema. Er ist sich jedoch selber nicht zu schade, Vergewaltigung und Hand-aufs-Knie-Legen gleichzusetzen und als sexistische Übergriffe zu bezeichnen. Eine Vergewaltigung ist sexuelle Gewalt und kein sexistischer Übergriff.
- Höpli vermisst bei der aktuellen Sexismusdebatte die „feministische Klage“ über die erschreckende Misere von Frauen und Mädchen in anderen Weltgegenden. Durch derartige Vergleiche wird insinuiert, dass die strukturelle Alltagsdiskriminierung der Frauen kein echtes Problem sei. Sich gegen die Diskriminierung im eigenen Land zu wehren schliesst nicht aus, sich für bessere Lebensbedingungen der Frauen allgemein einzusetzen.
- Vollends abwegig wird es, wenn Höpli Verschwörungstheorien bemüht. Der Protest der Frauen entspringe nicht einem generellen Verständnis von Menschenwürde, sondern einer „heimlichen Agenda“ mit dem Zweck, den Graben zwischen Frauen und Männern nach Kräften zu verbreitern. Wer zu solchen Ansichten neigt, mit dem ist schwerlich ein vernünftiger Dialog möglich.
In der Rubrik „Ansichten“ muss die Meinung des Autors nicht mit der Meinung des St. Galler Tagblatts übereinstimmen. Doch das Blatt trägt eine Mitverantwortung dafür, wenn es derart nachlässige und für viele Frauen erschreckende Ansichten eines ehemaligen Chefredaktors veröffentlicht.