Die Rechnungsdebatte des St.Galler Kantonsrat machte den tiefen Graben zwischen der neoliberalen rechtsbürgerlichen Mehrheit und der Sozialdemokratischen Partei sichtbar. Die SP will Gewinn und Vermögen des Kantons für eine gerechtere Gesellschaft einsetzen, für Bildung, Armutsbekämpfung, Kultur. Und für die Bewältigung der anstehenden Klimakrise. Von Guido Berlinger-Bolt, Politischer Sekretär/Fraktionssekretär der SP SG.
Am Dienstag behandelte der Kantonsrat die Staatsrechnung. Die schliesst mit einem deutlichen Überschuss von 216 Mio. Franken und damit erneut um 191 Mio. Franken besser ab als budgetiert. Auch in den letzten Jahren lag der Rechnungsabschluss immer deutlich im positiven Bereich. Das Vermögen des Kantons beläuft sich auf 1,5 Mrd. Franken. Der Kanton St.Gallen ist also in guter finanzieller Verfassung.
In dieser Situation tut sich nun aber ein tiefer Graben zwischen der rechtsbürgerlichen Mehrheit und der Sozialdemokratischen Partei auf. Auf der einen Seite die rechtsbürgerlichen Fraktionen von FDP, CVP und SVP, die reden bar jeder Grundlage von einem strukturellen Defizit. Sie zwingen dem Kanton völlig unnötig ein Staatsabbaupaket auf. Sie wollen den Abbau von staatlichen Leistungen und mittelfristig Steuererleichterungen für Reiche und Unternehmen. Staatsabbau bedeutet Abbau von Chancen und die Verschlechterung der Zukunftsaussichten für Kinder, Jugendliche, Familien, Wenigverdienende, Kulturschaffende; es droht ein Abbau in der Bildung, in der Kultur, beim sozialen Ausgleich, bei der Bewältigung der Klimakrise, etc. Guido Etterlin, SP-Kantonsrat aus Rorschach: „Wir befinden uns an einem Scheidepunkt – jetzt wird die finanzpolitische Zukunft festgelegt. Das rechtsbürgerliche Schlagwort vom strukturellen Defizit ist ein Mythos.“
Vier Aufträge versuchte die SP gegen die rechtsbürgerliche Mehrheit durch den Rat zu bringen. Erstens forderte die SP: Keine Kürzungen bei den Ergänzungsleistungen und bei der Prämienverbilligung. Nach 1 Pandemiejahr öffnet sich die Einkommens- und Vermögensschere weiter als je zuvor. Reiche werden reicher, untere Einkommensschichten treten an Ort, verlieren zusehends ihre Perspektiven. Zweitens forderte die SP die Rechtsbürgerlichen auf, ihr Wort, das sie im Steuerkompromiss 2018 gegeben hatten, zu halten. Vor drei Jahren hat die SP gemeinsam mit ihnen einen Kompromiss geschnürt, der Mindereinnahmen bei der Unternehmenssteuer und Mehrausgaben für soziale Kompensationsmassnahmen vorsah. Etwa über eine Erhöhung des IPV-Volumens um 12 Mio. Franken; von der Entlastung der Krankenkassenprämien sollten ab 2020 insbesondere Familien und Menschen mit tiefem Einkommen profitieren. 263 Mio. Franken waren 2020 im Budget dafür eingestellt; lediglich 242 Mio. Fr. wurden tatsächlich ausbezahlt; die Regierung unterschritt damit sogar das bundesgesetzliche Minimum. Dario Sulzer, SP-Kantonsrat aus Wil: „Seit 2002 haben über 80‘000 Personen den Anspruch auf IPV-Beiträge verloren. Weil der Kanton die Eckwerte ständig herunterschraubte. Das ist inakzeptabel.“ Drittens: 2018 wussten alle: Der Steuerkompromiss wird etwas kosten, der Kanton sollte dies mit Bezügen aus dem Eigenkapital ausgleichen. Die SP betonte immer wieder: Für die Zustimmung von Links darf der Kompromiss nicht zu einem Staatsabbaupaket führen. Heute stehen wir vor genau diesem Staatsabbau. Die SP ist über diesen Wortbruch enttäuscht. Sie schaffte es mit ihrem Antrag immerhin, dass die Regierung fortan die Mindereinnahmen und Mehrausgaben, welche sich aufgrund der STAF-Vorlage ab 2021 in der Rechnung des Kantons niederschlagen, jährlich explizit ausweisen wird. Damit herrscht wenigstens Transparenz. Und viertens wollte die SP die Regierung beauftragen, die Genauigkeit in der Budgetierung zu erhöhen und auf die sogenannte „Schattenrechnung“ zu verzichten und die Nationalbank-Gewinne ordentlich zu budgetieren. Dieser Antrag scheiterte ebenfalls an der rechtsbürgerlichen Mehrheit.
Psychiatrie in grosser Not – SP fordert rasche Analyse und Schritte zur Verbesserung
Die SP reichte eine Interpellation zur Sicherstellung der jugendpsychiatrischen und -psychologischen Versorgung im Kanton St.Gallen ein. Dabei handelt es sich um ein Schweizweites Problem. Die Fallzahlen haben sich in den letzten Jahren aber auch im Kanton St.Gallen verdreifacht, die Überlastung der Institutionen der Jugendpsychiatrie ist offensichtlich: Es fehlt an Fachkräften und an Angeboten für Jugendlichen, es bestehen absurd lange Wartelisten, die Chronifizierungsgefahr ist enorm hoch, die Integration in den Arbeitsmarkt wird dadurch verschlechtert bis verunmöglicht. Die Situation war schon vor der Covid-19-Krise sehr angespannt. Die SP hofft nun auf eine rasche und schonungslose Analyse im Gesundheitsdepartement und eine Vorlage zur Verbesserung der Situation so rasch wie möglich.
Freude über Abschaffung schwarze Liste
Säumige Krankenkassen-Prämienzahler*innen wurden während der letzten Jahre auf einer Schwarzen Liste geführt. 10‘000 Personen kamen so nur noch zu den allernötigsten Behandlungen; dies führte in der Vergangenheit immer wieder zu menschenunwürdigen Situationen. Heute hat das jahrelange Engagement der SP gegen die Schwarze Liste im Kanton St.Gallen ein glückliches Ende genommen: Die Liste ist abgeschafft.
Maulkorb-Motion nicht überwiesen
Zufrieden nimmt die SP-Fraktion zur Kenntnis, dass eine GLP-CVP-Grüne-SP-Mehrheit im Rat den Kirchen keinen Maulkorb-Motion verpassen will. Aus Sicht der SP ist es die ureigene Aufgabe der Kirche, dass sie sich für die eigenen Werte der Menschlichkeit einsetzt. Die Kirchen sind zudem demokratisch verfasst, sie sind dadurch selbst in der Lage, sich selber Leitplanken zu setzen.
Enttäuschung über die Ablehnung des Ausländer*innen-Stimmrechts
Während die Regierung noch auf die Motion zur Einführung des Ausländerstimmrechts eintreten wollte, fand diese im Rat keine Mehrheit. Die SP ist über diese Absage enttäuscht. Die SP ist klar der Ansicht, dass alle Menschen, die im Kanton St.Gallen leben, ihre Kinder hier zur Schule schicken, die vorhandene Infrastruktur benützen und Steuern zahlen unter keinen Umständen von den demokratischen Prozessen ausgeschlossen bleiben dürfen. Der Vielfaltsparteitag der SP SG, der am 26. Juni in Heerbrugg stattfinden wird, widmet sich genau diesen Themen: Diskriminierungsverbot, Teilhabe und Mitbestimmung. Auf diesem Feld ist in den nächsten Monaten und Jahren also mit der SP zu rechnen.