Gerechte Chancen für alle Menschen

Laura Bucher wurde 2020 in den St.Galler Regierungsrat gewählt und steht seither dem Departement des Innern vor. Teil 2 des Interviews zur Amts-Halbzeit. 

Als Sozialministerin hast du Covid-19-Härtefallgelder und Geld für Sofortmassnahmen beantragt und verteilen können. Grosse sozialpolitische Erfolge in der momentanen Situation.

Ja, darüber bin ich glücklich. Wir konnten so die von der Pandemie am meisten Betroffenen unterstützen: Kulturschaffende, Kulturunternehmen, Behinderteninstitutionen, Kindertagesstätten, Familien und Geringverdienende.

Der Slogan Deines Wahlkampfs lautete «Wandel – Chancen – Gerechtigkeit». Auf den «Wandel» zu setzen, fand ich im Nachhinein recht riskant – angesichts der grössten Gesundheitskrise der jüngeren Geschichte, wo die Menschen doch automatisch mehr Sicherheit wünschen. Wie siehst Du das im Rückblick?

Natürlich waren und sind die soziale Sicherheit und eine umfassende Gesundheitsversorgung in dieser Krisensituation sehr wichtig. Die Krise hat aber auch gezeigt, dass in vielen Bereichen ein Wandel nötig ist, etwa was den Stellenwert von Pflegeberufen und die soziale Situation von Kulturschaffenden angeht. Es ist zudem wichtig, Perspektiven des Wandels jenseits der Krise aufzuzeigen.

Aber die «Chancen» rückten angesichts der Pandemie doch rasch in den Hintergrund. Es ging und geht immer noch um Schadensbegrenzung und nicht um die Schaffung von Chancen. Oder täuschen wir uns?

Auch in der Pandemie ist der Begriff der Chance wichtig. Die Pandemie hat uns allen vor Augen geführt, dass der Wandel das Leben aller Menschen betrifft.  Mein Anspruch ist es, diesen Wandel so zu gestalten, dass wir uns weiterhin auf die bewährten Grundwerte und Leistungen unseres Staates verlassen können, etwa die Solidarität, die soziale Sicherheit und die Chancengleichheit. In gewissen Bereichen, etwa der Digitalisierung, haben wir just wegen der Krise wichtige Schritte nach vorne gemacht.

Wo siehst Du in der Sozialpolitik den dringendsten Handlungsbedarf?

Zunächst einmal beim Stellenwert der Sozialpolitik insgesamt. Sie prägt nicht nur unser Zusammenleben und legt die Basis für die gesellschaftliche Entwicklung, sondern ist auch eine aktive Wirtschaftspolitik, wenn es etwa um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht oder den Umgang mit den demografischen Herausforderungen. Im Altersbereich wie auch im Behindertenbereich gilt es, bestehende Strukturen und Angebote vor allem aus Sicht der Betroffenen zu analysieren und weiterzuentwickeln. Individualisierung und Flexibilisierung sind hier die Stichworte. Und dann meine ich auch, dass wir dringend über Armut sprechen sollten. Es gibt Armut, auch in unserem Kanton – sie ist oft nur nicht sichtbar.

Viele Sorgen dürften Dir in der Pandemie die St.Galler Alters- und Pflegeheimen und die Institutionen bereitet haben. Es kam zeitweise zu vielen Covid-Ansteckungen und Todesfällen.

Das war eine schwierige Zeit. Wir haben sofort reagiert und eine Pflegeexpertin im Amt für Soziales angestellt, die die Heime in dieser schwierigen Zeit in Fragen der Hygiene unterstützt und begleitet. Ihre Beratung vor Ort wird von den Heimen nach wie vor rege genutzt sehr geschätzt.

In der Kulturpolitik, ebenfalls im DI angesiedelt, scheinen die grossen Leuchtturmprojekte allesamt auf gutem Weg: Die Erneuerung des St.Galler Theaters zum Beispiel läuft, bald wird am Schwendisee im Obertoggenburg mit dem Bau des Klanghauses begonnen.

Wir sind auf Kurs. Bei so aussergewöhnlichen Bauvorhaben gibt es natürlich immer bis am Schluss Unsicherheitsfaktoren.

Die massgeblichen politischen Entscheide zum Bau der neuen Bibliothek am Blumenmarkt stehen hingegen noch aus.

Ja, aber ich habe ein gutes Gefühl. Ich führe dazu bereits viele Gespräche.  Auf diese moderne Public Library mitten in der Stadt, die allen offensteht und ein Zentrum für Bücher, digitale Medien, Bildung und Kultur werden soll, freue ich mich schon sehr.

Ich habe Dich als Kantonsrätin und Fraktions-Co-Präsidentin der SP als offenen Menschen kennengelernt, als Frau, die auf andere zu- und eingeht, zuhört, analysiert.. Wie arbeitet die Regierungsrätin Laura Bucher konkret?

Nehmen wir das Bibliotheksprojekt als Beispiel. Ganz im Sinn unserer neuen Departementsstrategie “Bedürfnisse erkennen, Teilhabe und Chancen ermöglichen” führen wir ein Partizipationsverfahren durch, um die Angebote der neuen Bibliothek noch besser auf die Bedürfnisse im ganzen Kanton abzustimmen. Ich will Entscheidungen nicht allein im stillen Kämmerlein fällen, sondern gemeinsam mit den Expert*innen in den Ämtern und vor allem auch im Austausch mit den Direktbetroffenen und Anspruchsgruppen. Weitere Beispiele dafür sind u.a. der Kulturdialog mit den Kulturschaffenden und -Institutionen, den wir schon zweimal digital durchgeführt haben oder der neue Runde Tisch Vereinbarkeit, an dem wir gemeinsam mit den Arbeitgebenden, den Gewerkschaften, den Gemeinden, den Frauen- und Familienorganisationen und allen involvierten kantonalen Stellen überlegen, wie wir in diesem Thema einen Schritt weiterkommen.

Der St.Galler Polit-Mainstream verläuft deutlich rechts von der Mitte; seine einzige Losung lautet seit Jahren «Sparen». Wie wirkt sich das auf Deine Arbeit aus? Sind unter solchen Bedingungen politische Projekte für die Standortqualität unseres Kantons, also mit Sozial- und Kulturbezug überhaupt möglich?

In ihrer Schwerpunktplanung und auch mit dem Ressourcenbericht hat die Regierung deutlich gemacht, dass sich die Standortattraktivität nicht nur alleine am Steuerfuss messen lässt. Für einen attraktiven Wohn- und Arbeitsstandort braucht es auch ein vielfältiges Kulturangebot und ein flächendeckendes Angebot an familienergänzender Betreuung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Investitionen in diesen Bereichen lohnen sich, davon bin ich überzeugt. Zudem ist unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem grundsätzlich auf den sozialen Frieden und Ausgleich sowie auf den Einbezug aller angewiesen. Auch viele bürgerliche Politiker*innen haben das bereits oder wieder verstanden. Die anderen erinnere ich gerne immer wieder daran.

Das Interview führte Guido Berlinger-Bolt, Politischer Sekretär der SP Kanton St.Gallen. Dieser Teil des Gesprächs mit Laura Bucher ist in Print im aktuellen Links publiziert. Der zweite Teil finden Interessierte im Blog auf dieser Website.

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